Vortrag „Europa auf den ehemaligen Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges“ von Dr. Susanne Brandt

Wäre die Anzahl der Besucher einer Veranstaltung ein Werte-Indiz, es stünde schlecht um Europa. Noch nicht einmal 20 hatten sich am Donnerstag im Syker Kreismuseum zu einem Vortrags- und Diskussionsabend eingefunden. Dr. Susanne Brandt, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, referierte über „Europa auf den ehemaligen Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges“. Gastgeber war der Kreisverband der Europa-Union. Ein Thema, das mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt hätte, ging es doch um die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg und um die Zukunft Europas. Für die lieferte die Referentin zwar keinen Königsweg, aber Ratschläge: Wissen um die Dinge, Informationen am besten vor Ort auf den Soldatenfriedhöfen, gemeinsames Forschen mit Menschen aus anderen Ländern.

Artikel und Foto von Detlef Voges

 

Besucher erinnerten an die positiven Erfahrungen der frühen Kriegsgräberpflege in Frankreich. Das sei aber leider eingeschlafen, meinte ein Syker Lehrer ernüchtert. Schüler könne man heute wohl für gemeinsame Aktionen mit ausländischen Schülern am Ballermann auf Mallorca gewinnen, aber nicht zur Gräberpflege in Verdun.  Eine Lehrerin kritisierte den Abbau von Geschichtsstunden an Schulen. Unwissenheit sei aber eine Gefahr. Sie selbst habe durchweg gute Erfahrungen mit Besuchen von Soldatenfriedhöfen gemacht. Das habe die Schüler beeindruckt, erklärte die Pädagogin und nannte beispielhaft einen muslimischen Schüler. Der habe keinen Sinn in dem Besuch des Soldatenfriedhofs von Douaumont (Verdun) gesehen, weil es sich 1914-1918  ja um ein deutsch-französisches Problem gehandelt habe. Beim Anblick des muslimischen Teils des Friedhofes, eingerichtet 2006 für die gefallenen muslimischen Soldaten des französischen Heeres, habe sich seine Meinung aber geändert, so die Lehrerin.

Europa ist keine Selbstverständlichkeit, auch 96 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs nicht. Das machte der Vortrag von Susanne Brandt deutlich. Dabei konzentrierte sich die Historikerin auf die Kriegsschauplätze in Frankreich und Flandern (Belgien). Allein die Bilder von den schier unendlichen Gräberfeldern und den Mahnmalen setzen beim Betrachter schon etwas in Gang. Wie das Beinhaus in  Douaumont, so benannt, weil dort die Gebeine von etwa 130.000 Gefallenen aufbewahrt sind. Oder Bilder von Ypern. In der belgischen Stadt gibt es keine Gebäude, die älter als 90 Jahre alt sind. Die Stadt wurde im Ersten Weltkrieg im wahrsten Sinne des Wortes platt gemacht.

Susanne Brandt berichtete von der gewachsenen Erinnerungskultur, den Besuchen auf den Friedhöfen und den Denkmälern als Manifestation. „Das sind Plätze der Versöhnung“, so Brandt. Es seien auch Plätze, die dem Bedürfnis der Menschen nach Trauer entsprächen. Grenzüberschreitend sind sie allemal. So steht auf dem deutschen Soldatenfriedhof im westflandrischen Dorf Vladslo ein beklemmendes Denkmal, angefertigt von der deutschen Künstlerin Käthe Kollwitz für ihren gefallen Sohn Peter. In Flandern gibt es einen Bombentrichter, der sich im Eigentum eines Briten befindet. Der veranstaltet dort jedes Jahr eine Feier im Sinne des Pazifismus, an der zahlreiche Menschen teilnehmen.

Zur Erinnerungskultur gehört auch der Tourismus zu den Soldatenfriedhöfen. Die Begegnung mit der Realität mache Feindbilder unmöglich, sagt die Historikerin, die besonders auch den entstandenen Begegnungszentren an den Friedhöfen und den Museen mit ihren Ausstellungen eine Basis für ein stärkeres Miteinander einräumt. Was ihr aber fehlt, sind noch mehr gemeinsame Projekte und wissenschaftliche Arbeiten. Stattdessen gebe es immer noch unterschiedliche nationale Trauer-Riten, in Frankreich mit militärischem Gepräge und dem Hissen von Flaggen. In dieser latenten militärischen Legitimation sieht Brandt keinen Weg der Angleichung des europäischen Gedenkens.
Die Erinnerungsorte des Krieges müssen nach ihrer Ansicht wieder intensiver in den Blickpunkt rücken, auch und besonders für die Jugend. „Die Friedhöfe verkommen“, erklärte sie.

In einem Grußwort für die Veranstaltung der Europa-Union forderte auch Volker Hannemann, Vizepräsident der Kriegsgräberfürsorge, mehr Engagement für ein gemeinsames europäisches Gedenken.